Taiwan: Das größte geopolitische Risiko seit dem Golfkrieg


Mit 40,05 Prozent konnte Samstagabend die DPP (Demokratische Fortschrittspartei) die Präsidentschaftswahlen in Taiwan für sich entscheiden – und trotz herber Verluste (2020: 57,1 Prozent) sich die Vormachtstellung sichern, um so weiterhin über das Schicksal Taiwans zu entscheiden.

Trotz herber Verluste, konnte die Demokratische Fortschrittspartei (DPP) abermals die Wahlen für sich entscheiden.

Auch wenn der bisherige Vizepräsident Lai Ching-te versprach die Politik der, nach zwei Amtszeiten nun abdankenden Präsidentin Tsai Ing-wen, weiterführen zu wollen, so musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, in seinen Wahlkampfreden teils unorganisiert zu wirken. Die DPP hat in der öffentlichen Wahrnehmung der Taiwanesen zudem ein Korruptionsproblem und auch wenn sich Lai offiziell zur Beibehaltung des Status quo mit China ausgesprochen hat, so bedeutet eine Fortsetzung der Politik Tsai’s auch ein Festhalten am pekingkritischen Kurs der scheidenden Amtsinhaberin.

Gemischte Reaktionen bei den Großmächten

Die EU und USA beglückwünschten Lai und damit dem demokratischen System zum Wahlsieg und freuen sich auf eine Zusammenarbeit, um die »gemeinsamen Interessen und Werte« voranzubringen – auch wenn US-Präsident Biden seine Meinung bekräftigte, die Unabhängigkeit Taiwans »nicht unterstützen« zu wollen.

Die USA halten zwar offiziell an der »Ein-China-Politik« fest, lehnen aber eine gewaltsame militärische Übernahme durch China ab und befürworten inoffiziell, so wie auch der Großteil des taiwanesischen Volkes, einen Fortbestand des Status quo.

Innerhalb der letzten 24 Stunden wurden gleich zwei chinesische Ballons über Taiwan gesichtet.

China indes, verlangt nach dem heutigen Erfolg des Unabhängigkeitsbefürworters Lai die »unausweichliche Wiedervereinigung« mit der in Pekings Augen abtrünnigen Provinz Taiwan – und ließ noch am selben Abend zwei Ballons die Straße von Taiwan überqueren, von denen zumindest einer auch über die Insel flog.

Invasion noch in diesem Jahr?

In den letzten Jahren kamen militärische und geheimdienstliche Analysen der USA zu dem Schluss, dass Xi sein Militär dazu drängt, Taiwan bis 2027 zu erobern. Doch US-Außenminister Blinken und andere warnen inzwischen, dass China die Wiedervereinigung in einem »viel schnelleren Zeitrahmen« anstrebt.

»Mein Gefühl sagt mir, dass wir 2025 kämpfen werden«, schrieb Air Force General Mike Minihan in einem Memo vom Januar. Im Oktober 2022 hielt der damalige Chef der Marineoperationen, Admiral Michael Gilday, sogar 2023 für ein mögliches Zeitfenster einer Invasion.

Die Bank of America warnt davor, dass eine hohe Abhängigkeit zu Taiwan auch mit einem erhöhten geopolitischen Risiko an den Aktienmärkten einhergeht.

Peking könnte also zu dem Schluss kommen, dass seine Erfolgsaussichten umso größer sind, je früher es handelt. Zumal die USA durch die Unterstützung der Ukraine derzeit für einen weiteren Konflikt nur unzureichend vorbereitet wäre:

So warnte eine Arbeitsgruppe des Council of Foreign Relations zur Verteidigung Taiwans vom Juni 2023 in ihrem Bericht davor, dass die USA »dringend ihre industrielle Verteidigungsbasis instand setzen muss«, um sich auf einen hochintensiven Krieg mit China vorzubereiten.

Die wirtschaftliche Bedeutung Taiwans

Wenn Halbleiter und Mikrochips das neue Erdöl sind, so ist Taiwan der neue Nahe Osten: So stammen mehr als die Hälfte aller weltweit gefertigten Mikrochips vom taiwanesischen Chipriesen TSMC.

Die zehn größten Halbleiterhersteller teilen sich insgesamt 95 Prozent des gesamten weltweiten Marktes. Bis auf wenige Ausnahmen stammen fast alle Hersteller aus dem ostasiatischen Raum. (Quelle: investors.com)

Nach Angaben des CSIS (Center for Strategic and International Studies) beziehen die sieben größten Techunternehmen (also Aktienunternehmen wie Apple, Amazon, Google und Nvidia) mehr als 90 Prozent ihrer Mikrochips von taiwanesischen Herstellern. Die wachsende Abhängigkeit zum Unternehmen TSMC (Taiwan Semiconductor) stellt dabei eine Besonderheit dar, und ist mittlerweile auf einen Rekordwert von 66 Prozent angewachsen.

Eine Handelsblockade Chinas, die diese taiwanesischen Unternehmen miteinschließen würde, hätte damit nicht nur dramatische Auswirkungen auf den Aktienmarkt, sondern auch auf die gesamte Weltwirtschaft.

Die sieben größten Techunternehmen sind mittlerweile so groß wie die Aktienmärkte in Großbritannien, Japan und Kanada zusammengenommen. Alleine Microsoft oder Apple haben die Größe von Kanada oder Großbritannien.

So weit muss es aber gar nicht kommen: Dank TSMC hätte China nämlich nun endlich auch Zugriff auf die heiß begehrten 5-Nanometer- und 3-Nanometer-Chips: Während Letztere etwa in Apples iPhone 15 Pro oder dem MacBook Pro Verwendung finden, gelten 5-nm-Chips als Voraussetzung für die Herstellung von KI-Prozessoren.

Aber braucht China denn überhaupt die taiwanesischen Chipproduzenten?

Die US-Blockadehaltung zu China

Im Oktober 2022 verhängte US-Präsident Biden weitreichende Exportkontrollen gegen China, welche die Herstellung chinesischer Mikrochips auf 14-Nanometer beschränken sollte.

Doch dank Chipausrüstung, die eigentlich für die 28-nm-Produktion gedacht war, aber auch auf 7 Nanometer angewendet werden kann, gelang es im vergangenen Jahr dem chinesischen Hersteller Huawei, das 7-nm-Smartphone Mate 60 Pro auf den Markt zu bringen. Kurze Zeit später wurde sogar ein Computer auf den Markt gebracht, der auf der 5-Nanometer-Technologie basierte.

Das weitläufige Betriebsgelände von Huawei in der südchinesischen Stadt Dongguan. Huawei gilt als der größte Telekommunikationsausrüster und als zweitgrößter Smartphone-Hersteller der Welt.

Trotzdem sind sich Experten darin einig, dass die chinesischen Hersteller Huawei und SMIC erst frühestens 2025/2026 in der Lage sein werden, 5-Nanometer-Chips in großen Massen anzufertigen – sofern von Seiten der US-Regierung keine weiteren Maßnahmen getroffen würden.

Deshalb trat am 17. November 2023 eine weitere Maßnahme der Biden-Administration in Kraft, die den Export fortschrittlicher (KI-)Halbleiter und die Geräte zu deren Herstellung unterbinden, und die Lücke, die zur Herstellung des Mate 60 Pro geführt hat, schließen sollte.

Die Exportbestimmungen betreffen seit 1. Januar 2024 mit ASML (Niederlande) und Canon bzw. Nikon (Japan) nun auch die drei größten Hersteller für Lithografieausrüstung weltweit.

Werden diese zusätzlichen Einschränkungen aber ausreichen, damit China die Herstellung von KI-Chips und somit auch intelligenter Waffensysteme weiterhin untersagt bleibt?

ASML gilt heute als Weltmarktführer unter den Herstellern von Lithografietechnik, was vor allem auf die nachhaltige Innovation dank der kombinierten Nutzung von optischen mit präzisionsmechanischen Geräten zurückzuführen ist.

ASML-CEO Peter Wennink glaubt nicht daran. So gab er in einem Interview mit Bloomberg bereits im Januar 2023 zu verstehen:

»Wenn sie diese Maschinen nicht bekommen können, werden sie sie selbst entwickeln. Das wird einige Zeit dauern, aber letztendlich werden sie es schaffen. […] Je mehr man sie (China) unter Druck setzt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie ihre Anstrengungen verdoppeln.«

Peter Wennink, CEO von ASML

Stunde der Wahrheit

Auch wenn China Taiwan für seine eigene Chipproduktion nicht unbedingt benötigen wird, so würde eine Erhöhung des Markteinteils mit einem Plus von mehr als 65 Prozent China zum Weltmarktführer für Mikrochips werden lassen. Kein Land käme mehr drumherum, mit China Geschäfte zu machen, wenn es um die Herstellung von Mikrochips und KI-Technologien ginge und auch die USA müssten ihre Blockadehaltung nochmals überdenken, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, die gesamte Weltwirtschaft an die Wand zu fahren.

Sowohl Biden als auch Trump ähneln sich in ihrer Haltung zu China. Eine politische Entspannung in der US-Haltung zu Peking ist bei keinem der beiden Kandidaten in Sicht.

Auch wenn sich am Ende alle involvierten Parteien zu einer Beibehalten des Status quo bekannt haben, ist dennoch festzuhalten, dass nach dem heutigen Wahlsieg der DPP die Spannungen nicht abnehmen werden.

Aufgrund der besonderen Vormachtstellung in der Halbleiterindustrie und der Bedeutung ob des wirtschaftlichen und militärischen Komplexes wird Taiwan damit zum wichtigsten geopolitischen Risiko seit dem Golfkrieg.

Mit Hinblick auf die US-Präsidentschaftswahl würde sowohl eine Forsetzung der US-Präsidentschaft Bidens als eine Rückkher von Ex-Präsident Trump zu keiner Entschärfung der Lage beitragen – ganz im Gegenteil: Trump wäre sogar das noch unkalkulierbarere Risiko.


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